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Neuere Artikel                                                   03.05.2007                                                  Ältere Artikel


"No bandidos": Letzte Tage in Österreich
© Die Presse

Reportage. Wie Schubhäftlinge leben, woran es in den Zentren mangelt. Von Regina Pöll.


WIEN. "Liberation", "No criminals" und "No bandidos" – "Keine Banditen": Das Stimmengewirr, mit Brocken aus Französisch, Englisch oder Spanisch, ist ungeheuer. Rund 30 Männer, fast alle schwarz, fast alle unter 40, wollen sich verständlich machen oder schreien sich ihren Ärger von der Seele, als Journalistin und Fotograf bei ihrem Lokalaugenschein den eng eingezäunten "Spazierhof" passieren. Mitten in Wien-Josefstadt, in der Stadt und dem Land, in dem die Betroffenen Asyl begehrt haben.

Heute sind sie, wie die 200 weiteren Insassen des Polizeianhaltezentrums (PAZ) Hernalser Gürtel, fast schon wieder auf dem Weg zurück über die Grenze, in ihre Heimat. Für die meisten heißt das heim nach Subsahara- oder Nordafrika, Ex-Jugoslawien oder Indien. Abgeschoben aus Österreich, weil sie den Behörden nach ihrer (illegalen) Einreise ihre Identität, ihre politische oder wirtschaftliche Not nicht ausreichend nachweisen konnten.

"Menschenrechtliche Wunde"

Die Schubhaft als "große menschenrechtliche Wunde in Österreich", wie es im neuen Jahresbericht des Menschenrechtsbeirats heißt – weil die Zahl der Insassen stark wächst, nicht aber die des Personals, das sie medizinisch versorgen oder beaufsichtigen soll? Weil etwa traumatisierte Häftlinge nicht adäquat behandelt würden (oder behandelt werden könnten)? Hauptsache, es werde abgeschoben, wie Innenminister Günther Platter es kürzlich angesichts der vielen bereits voll belegten Zellen formulierte ? Wieder lockern will der Minister das seit 2006 strengere Asyl- und Fremdenrecht nicht.

Wer abgeschoben werden soll, dem bleiben im PAZ Hernalser Gürtel durchschnittlich 22 Tage, berichtet Kommandant Josef Zinsberger: "Mit (zeitlichen) Ausreißern" – abhängig davon, wie schnell oder langsam die Identität eines Insassen geprüft wird oder bis wann das Land offiziell zustimmt, in das der Flüchtling zurückgeführt wird. Das kann auch mehrere Monate dauern, in Einzelfällen sogar länger als ein halbes Jahr.

"Ich will wieder heim", sagt jeder Fünfte und kommt mit dem freiwilligen Rückzug seiner Abschiebung zuvor.

Für Günter Ecker, Betreuer vom Verein "Menschenrechte", ist das die größte Sorge der Häftlinge: "Nicht zu wissen, wann es vorbei ist." Manchen, die überhaupt keine Aussicht mehr auf einen positiven Asylbescheid hätten, könne er "eigentlich nur den Rückzug" statt einer Berufung empfehlen. Tatsächlich tritt jeder Fünfte freiwillig die Heimreise aus Österreich an.

Der Tagesablauf der Insassen sei "relativ strikt", erzählt Zinsberger: Um 6 Uhr Wecken, bis 6.15 Uhr Körperpflege, 7.15 Uhr Frühstück, 8Uhr Amtsarzt im stockwerksweise eng vergitterten Haus – für jene, die körperliche Beschwerden angeben. Häufig sind es Zahn- und Herzschmerzen, in Ausnahmefällen ist es Schwäche aufgrund eines Hungerstreiks, mit dem sich manche Häftlinge "freipressen" wollen – bisher brachte das oft Erfolg, wenn sie ein Mediziner für "haftunfähig" befand, nicht aber, wenn der Termin ihrer Abschiebung unmittelbar bevorstand.

Ab 9 Uhr Facharzt vom Verein "Dialog" bei Drogenentzug oder psychiatrischen Leiden. Denn ein Drittel oder mehr war bereits suchtgiftabhängig und soll jetzt in Haft sein Entwöhnungsprogramm fortsetzen. Doch auch die seelischen Beschwerden seien häufig "enorm", erzählt "Dialog"-Projektleiter Walter North, zu dem täglich bis zu 20 Häftlinge kommen: "Als Schlimmstes ist mir ein Tschetschene in Erinnerung, der im Krieg war und gefoltert wurde." Geht es nach North, würde Traumatisierten die Schubhaft erspart bleiben, sie sollten in Freiheit psychiatrisch behandelt werden.

"Stehen vor dem Kollaps"

Die Last auf den Schultern des Amtsärzte- und Sanitäterteams im PAZ wiegt schwer. "Wir stehen vor dem Kollaps", meint einer der insgesamt 260 Mitarbeiter am Hernalser Gürtel und in der Schwester-Anstalt Roßauer Lände. Sanitäter Ewald Bauer sagt, er sei "oft ziemlich geschlaucht, da gibt es kein Privatleben mehr" – vor allem nach den 24-Stunden-Diensten, die er regelmäßig allein oder an der Seite eines Arztes in der Josefstadt versieht. 30 bis 40 Überstunden im Monat seien für ihn "normal".

Für Zinsberger sind solche Zustände ein Ärgernis: "Mehr Personal" steht ganz oben auf seiner Prioritätenliste – immerhin gebe es dafür bereits "positive Signale" aus dem Innenministerium.

Bis sein Wunsch Wirklichkeit wird, geht im PAZ alles seinen üblichen Gang, bis zum Einschluss um 18 Uhr in wenigen Einzel- und vielen ebenso spartanischen Vier-, Sechs- oder Acht-Bett-Zellen. Dazwischen: Einvernahmen, Sport auf dem "Spazierhof" oder Lesen – zwei Mal in der Woche dürfen die Insassen in der Bibliothek Bücher ausleihen. Besonders gefragt: die Bibel, darüber hinaus Werke mit Titeln wie "Hurra, wir leben noch". Wer nicht "last minute" einen positiven Asylbescheid bekommt, tut das dann meist außerhalb Österreichs.

 
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